Pressemeldung: Universität des Saarlandes
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der coronabedingten Schulschließung wirbt Professor Armin Weinberger dafür, digitale Formen des Lehrens und Lernens systematisch in den Unterricht zu integrieren: Für Lehrerinnen und Lehrer eröffne dies neue Möglichkeiten, ihren Unterricht mit interaktiven Werkzeugen und Lehrmaterialien kreativ zu strukturieren, zu gestalten und zu steuern. Der Bildungswissenschaftler unterstützt Lehrkräfte dabei, neue Formate ins Klassenzimmer zu bringen.
Es war ein Wurf ins kalte Wasser: Von heute auf morgen mussten Schulen während des Corona-Shutdowns ihren Unterricht komplett auf online umstellen. Kinderzimmer, Küchentisch und Couch wurden zu neuen Lernorten. Das Fazit nach den Wochen des „digitalen“ Unterrichts fällt aktuellen Umfragen zufolge allseits ernüchtert aus. Es haperte nicht nur an der Technik und fehlenden Laptops. Das Problem gehe tiefer, sagt der Professor für Bildungstechnologie und Wissensmanagement Armin Weinberger von der Universität des Saarlandes: „Die Lehrerinnen und Lehrer verwendeten ihre bisherigen, auf Präsenzunterricht zugeschnittenen Lehr- und Lernmaterialien. Sie versuchten mit diesen Inhalten und Methoden in ein völlig anderes Medium einzusteigen. Dabei prallen jedoch Welten aufeinander.“
Weinberger forscht seit 1999 daran, die beiden Welten sinnvoll zusammenzubringen, sie harmonisch zu verschmelzen. „Digitale Technik und neue Lehr- und Lern-Werkzeuge können den Unterricht sehr bereichern und völlig neue Dimensionen eröffnen. Dies jedoch am besten, wenn der gesamte Lernprozess von Beginn an dafür strukturiert wird und sinnvolle Anwendungen an den richtigen Stellen zum Einsatz kommen. Wer die Vorteile der digitalen Möglichkeiten in seinen Unterricht integrieren will, muss diesen Unterricht zunächst also besser vorstrukturieren als den Präsenzunterricht“, betont Weinberger.
Zusammen mit seiner Forschungsgruppe arbeitet er in zahlreichen Projekten mit Lehrerinnen und Lehrern zusammen: Er unterstützt sie dabei, eine auf ihren individuellen Unterricht zugeschnittene, neuartige Lernumgebung zu entwickeln. „Die Lehrkräfte werden dabei zum Designer ihrer Lernumgebung. Wir unterstützen, leiten an und moderieren diesen Prozess“, erklärt Weinberger. Dabei durchdenken sie den Unterricht Schritt für Schritt und analysieren, welche digitalen Lehr- und Lernmaterialien passend und an welcher Stelle sie sinnvoll sind.
„Das klingt zunächst umständlich, hört sich vielleicht einschränkend an, eröffnet aber im späteren Präsenz- oder Online-Unterricht eine neue Flexibilität und interaktive Möglichkeiten für Lernende wie Lehrende“, sagt der Bildungsexperte. Wichtig sei vor allem der direkte Austausch von Lehrern und Schülern. Soziale Formen des Lernens sind ein Schwerpunkt von Armin Weinberger. Er hat in seiner Forschung mehrere computerunterstützte Kooperationsskripts entwickelt: Dabei handelt es sich um eine Art Orchester-Partitur für den Unterricht: Wie die Partitur für ein Orchester, das ein Musikstück gemeinsam spielt, gibt ein solches Skript eine bestimmte Abfolge vor und weist den Mitwirkenden bestimmte Rollen und Aufgaben zu. „Hierdurch können wir das Zusammenspiel und die Interaktionen von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern wie auch die Lernprozesse orchestrieren“, erläutert Weinberger
Die Anwendung im Unterricht laufe im Anschluss intuitiv, ohne dass viele Erklärungen nötig wären. Lehrkraft wie Schüler wüssten sofort, was zu tun ist. „Die so kreierten Lernumgebungen unterstützen sie ganz ohne Brüche. Sie können dadurch sehr produktiv und anschaulich arbeiten und interaktiv und spielerisch lernen – dies führt laut den Rückmeldungen der Lehrkräfte zu besseren Lern- und auch Lehrerfahrungen“, erklärt er. Worum es nicht gehe, so der Bildungsforscher, sei, den Lehrerinnen und Lehrern etwas Fertiges, Uniformes vorzusetzen. Das habe in der Vergangenheit in den Schulen häufig zu „Ruinen ungenutzter digitaler Lernlandschaften“ geführt. „Mit dem Ko-Design-Ansatz, bei dem Lehrkräfte ihre eigene Lernumgebung designen, helfen wir Schulen hingegen, ihr Profil zu schärfen und ihre eigenen Ansätze zu verwirklichen. Die Lehrerinnen und Lehrer reichern ihren individuellen Unterricht kreativ mit Werkzeugen digitalen Lernens an. Möglich werden so hybride, flexible Lernformen“, sagt Weinberger, der gemeinsam mit Professor Helmut Niegemann 2020 auch ein „Handbuch Bildungstechnologie – Konzeption und Einsatz digitaler Lernumgebungen“ herausgegeben hat.
Um diesen Ansatz in die Schulpraxis zu tragen, bietet Weinberger seit 2015 für Studierende und Lehrkräfte an der Universität des Saarlandes spezielle Online-Seminare an. Auch gestaltet er Zertifikatskurse „Schule im digitalen Wandel“ des saarländischen Bildungsministeriums und des hiesigen Landesinstituts für Pädagogik und Medien mit. Ein eigenes Weiterbildungszertifikat soll demnächst an den Start gehen.
Der Bildungswissenschaftler und sein Team forschen darüber hinaus auch daran, wie digitale Technologien das Lernen unterstützen können, etwa soziale Medien und Netzwerke, Online-Werkzeuge und Online-Wissensressourcen, Multimedia-Nachrichten, Simulationen und Mikrowelten oder Lernspiele. „Technisch ist vieles möglich, aber nicht alles Machbare ist sinnvoll. Bildungstechnologien können Wissenskonstruktion und -kommunikation nur so weit fördern, als sie pädagogisch-psychologisch fundiert sind. Deswegen behandeln wir in Forschung und Lehre, wie Akzeptanz und Wirkung von Bildungstechnologien auf der Grundlage pädagogischer und psychologischer Kenntnisse gestaltet werden können“, erläutert Professor Armin Weinberger.